Auf dem Dach der ehemaligen Residenz

Was für ein schöner Nachmittag. Die Sonne scheint auf mein Fell und wärmt mich von dem kalten Morgen auf, der mit einem Regenschauer und leichtem Wind begonnen hat. Ich wache aus meinem Mittagsschlaf auf und strecke meine Beine nach oben. Woaah. Nicht so schnell. Meine 14 Jahre machen sich ja doch bemerkbar. Mein Name ist Karuzo und ich liebe es noch immer, auf den Dächern herumzuschleichen. So wie jetzt, als ich mich von meinem Schlafplatz auf das Dach der früheren Residenz des Kölner Kurfürsten bewege. Die Sicht auf die Stadt Bonn ist unvergleichlich und lässt mich für einen Moment innehalten. Die letzten Tropfen fallen vom Dach und die Sonne scheint mit wohligen Strahlen auf einen Dachsee, der sich zwischen den Ziegeln gesammelt hat. Ich atme tief ein und ziehe den frischen Geruch des Sauerstoffs nach dem Regen ein. Ahhh. Ist das schön. Na nu, was höre ich denn da? Ich schlendere auf die Dachrinne und strecke meinen Kopf nach unten. Dort befindet sich eine Reihe von Fenstern, die symmetrisch nebeneinanderstehen, so perfekt, wie von einem architektonischen Meister ausgemessen. Jedes Fenster erzählt seine eigene Geschichte und eines unter mir ist mit einem kleinen Spalt geöffnet. Ich höre Menschen daraus reden und eine Frau lachen. Neugierig bewege ich mich auf der Dachrinne weiter, bis diese nach unten führt. Der Metallrand fühlt sich kühl unter meinen Pfoten an und ist rutschig durch den Regen. Soll ich es riskieren, mich darüber auf die Fensterbank zu schwingen? Achhh. Ich bin doch schon viel zu alt dafür. Aufregung tut meinem alten Herzen nicht gut. Plötzlich rutsche ich mit einer Pfote auf dem nassen Metall aus und fliege Kopfüber die Dachrinne hinunter. Panisch mache ich eine Bewegung nach rechts und Zack - mache ich einen Salto und lande mit meinen Vorderbeinen auf der Fensterbank. Hängend merke ich, wie mein Herz rast. Schnell ziehe ich mich nach oben. Puuuh. Glück gehabt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch so viel Kraft habe. Vor zehn Jahren war das definitiv leichter. Mit einem kräftigen Schütteln lasse ich das Wasser aus meinem Fell und bemerke, wie mich zwei Menschen vor dem Fenster anstarren. Hach, wer seid ihr denn? Ich beuge meinen Kopf nach vorne und schaue die erste mit meinen grünen Augen an. Sie steht von ihrem Stuhl auf und bewegt sich auf das Fenster zu. Hilfe! Die kommt geradewegs auf mich zu! Ich schrecke zurück, kann aber nicht weiter gehen, weil hinter der Fensterbank ein weiter Weg nach unten führt. Was mache ich denn jetzt? Langsam streckt sie die Hand nach mir aus. Ohhhh nein, nein, nein. Was macht die denn da? Ängstlich fauche ich sie an. Sie stoppt ihre Bewegung. „Du solltest vorsichtig sein, Jasmin. Wenn sie faucht, möchte sie nicht gestreichelt werden.” Für mehrere Sekunden bleibt es still, als würden die Menschen im Raum innehalten. Wir schauen uns tief in die Augen und ich sehe etwas, was ich lange nicht mehr gesehen habe – eine Mischung aus Neugier und Angst, die mich nahezu anzieht. Ich bewege meinen Kopf langsam zu ihrer Hand. Sie fängt mich sanft zu streicheln an. Behutsam kommt die zweite Hand, mit der sie mich durch das Fenster in den Raum zieht. Viele Menschen schauen mich mit ihren großen Augen an. Ich halte den Blick nicht stand und befreie mich aus ihrem Arm, laufe schnell über die Tische bis hin zur Tafel. Ich versuche mich zu verstecken. Es vergehen Sekunden, bis sich die Menschen um mich herum zu versammeln beginnen. Schnell springe ich auf das Pult und strecke mich nach oben. Ich fauche, knurre leicht und doch strecken sie alle ihre Hand nach mir aus, als wollen sie mich beruhigen. Was wollt ihr von mir? Ich sehe ihre Finger auf mich zusteuern, doch lasse ich das nicht zu. Mit einer schnellen Bewegung springe ich vom Pult, laufe zur glücklicherweise geöffneten Tür und verlasse den Raum mit einem letzten Schulterblick. Vor dem Raum erkenne ich ein Schild mit der Inschrift „Seminarraum 1”. 

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